Kuba hat weltweit die meisten ÄrztInnen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Medizinische Dienstleistungen sind zum wichtigsten Exportprodukt der Insel geworden.
Von Knut Henkel
Am 12. April nahm die zweite kubanische Brigade von ÄrztInnen und Pflegekräften in Havanna Aufstellung. Dunkelgrüne Masken, weiße Kittel und die kubanische Flagge prägten die Szene vor dem Abflug nach Italien. Einsatzgebiet der 38 ÄrztInnen und Pflegekräfte ist Piemont, wo sie auf 52 KollegInnen treffen werden. Die sind dort seit Mitte März im Einsatz, um den italienischen KollegInnen bei der Behandlung von COVID-19-PatientInnen zu helfen. Unentgeltlich, so Brigadeleiter Carlos Ricardo Pérez. Eine solidarische Geste Kubas, so der Leiter der medizinischen Brigade „Henry Reeve“. Für Kost und Logis komme der italienische Staat auf, über Honorare sei nie gesprochen worden, so Pérez.
Der Einsatz der kubanischen ÄrztInnen hat international Schlagzeilen gemacht – in Italien, aber auch in Andorra. Im Kleinstaat in den Pyrenäen sind weitere 39 kubanische HelferInnen im Einsatz. Ein nicht zu unterschätzender Werbeeffekt, schließlich gehörte Europa bisher nicht zum Einsatzgebiet der medizinischen Brigaden aus Kuba. „Armee der weißen Kittel“ taufte Fidel Castro die medizinischen Brigaden einst, sie sind seit 1960 als Zeichen internationaler Solidarität im Einsatz.
Bei Hurrikans, Erdbeben, Vulkanausbrüchen, aber auch beim Ebola-Ausbruch in Westafrika oder beim Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur in Angola waren oder sind sie zur Stelle.
Mindestens 600.000 Einsätze in 164 Ländern rund um den Globus hat es laut kubanischen Quellen gegeben. Anfangs meist unentgeltlich und solidarisch wie derzeit in Italien, aber seit 2003 auch gegen harte Devisen wie in Brasilien oder in Venezuela im Austausch für Erdöl.
Der Export medizinischer Dienstleistungen hat sich zu einem Eckpfeiler der Inselökonomie gemausert. Laut der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) summierten sich die jährlichen Deviseneinnahmen im Jahr 2016auf knapp elf Milliarden US-Dollar.
Bis zu 30.000 medizinische BrigadistInnen waren damals allein in Venezuela im Einsatz. Weitere 8.000 in Brasilien, einige Hundert in Bolivien und Ecuador sowie in Katar, Angola, Jamaika oder der Dominikanischen Republik. Derzeit kommen in Kuba neun ÄrztInnen auf Tausend EinwohnerInnen – das ist weltweit die höchste Quote.
Neue KundInnen gesucht. Allerdings hat das Geschäftsmodell mit dem Ende der Verträge mit Brasilien, Ecuador und Bolivien in den vergangenen 18 Monaten spürbare Rückschläge erlebt. Zudem macht Venezuela eine existenzielle politische und ökonomische Krise durch, wodurch auch aus Caracas weniger Geld fließt.
Neue Kunden für die Armee der weißen Kittel sind für Kuba extrem wichtig. Deshalb ist die Coronakrise eine Chance, Eigenwerbung für die „médicos“, die ÄrztInnen und Pflegekräfte von der Insel zu machen.
Medienberichten zufolge soll in Kanada, Mexiko, aber auch in Spanien darüber nachgedacht werden, kubanisches Personal zu verpflichten. In Argentinien hat die Regierung bereits Nägel mit Köpfen gemacht und laut der Tageszeitung Clarín 250 ÄrztInnen und Pflegekräfte als Unterstützung verpflichtet.
Für die chronisch leere kubanische Staatskasse ist das ein Hoffnungsschimmer angesichts rückläufiger Exporte von Nickel, Zucker & Co., meint der kubanische Finanzexperte Pavel Vidal: „Die Regierung hat derzeit Schwierigkeiten, ihre Schulden zu bedienen, wofür das verschärfte US-Embargo mitverantwortlich ist, aber auch der stagnierende Reformprozess auf der Insel“, sagt der in der kolumbianischen Stadt Cali lehrende Ökonom. Medizinische Dienstleistungen, aber auch der Pharmasektor seien laut Vidal die einzigen Optionen, um zusätzliche Einnahmen zu generieren.
Mehr Fairness gefragt. Bei den medizinischen Auslandseinsätzen wird dabei auf kubanische Präparate wie einen Hepatitis-Impfstoff oder das derzeit auch in der COVID-19-Therapie in China eingesetzte Medikament Interferon alpha-2b zurückgegriffen. Letzteres wird auch in der Krebstherapie eingesetzt. Es stimuliert das Immunsystem. Hergestellt wird Interferon alpha-2b seit 1986 in Kubas biotechnologisch-pharmazeutischer Industrie, die vor allem die Länder des globalen Südens beliefert. Sollten sich mehr Länder am medizinischen Angebot Kubas interessiert zeigen, müsste die kubanische Regierung die Bezahlung der „médicos“ transparenter machen und fairer gestalten. Bisher erhalten die kubanischen HelferInnen, wenn es ein bezahlter Auftrag ist, nämlich nur zwanzig bis dreißig Prozent der von der Regierung ausgehandelten Löhne.Das haben die USA und Brasilien als perfide Ausbeutung der BrigadistInnen kritisiert. Die verdienen auf Kuba allerdings deutlich weniger und melden sich für die Auslandseinsätze freiwillig.
Knut Henkel ist Politikwissenschaftler und freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik.
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